Der Liebhaber (Interview in Das Magazin, 11. Juni 2005)

Text: Anuschka Roshani
Bilder: Lauri Eriksson

2000 Künstler zeigen ihre Werke auf der Art Basel. Wer hat da den Durchblick? Was macht gute Kunst überhaupt aus? Keiner weiss besser Bescheid als der Sammler Thomas Koerfer.

Wenn einer morgens aufwacht, vielleicht gerade mal sieben oder acht Jahre alt, und sein Blick fällt als Erstes statt auf ein billiges Jungsposter auf den echten Picasso an der Wand, dann muss das Spuren hinterlassen, auf der Netzhaut und überhaupt. Für eine Karriere als Künstler ist eine solche Bilderwucht vermutlich ziemlich ungeeignet, wer würde sich schon trauen, selbst den Pinsel in die Hand zu nehmen, die besten Maler der Welt direkt vor der Nase? Es hat ein paar Jahre gedauert, bis sich herausstellen sollte, dass die grossen Vorbilder Thomas Koerfer nicht einschüchtern konnten, im Gegenteil, dass sie ihm halfen, seine eigenen Bilder zu finden. Und daher war es ebenso klug wie folgerichtig, sich ganz auf die bewegten zu konzentrieren und Filmemacher zu werden, etwa Kellers «Grünen Heinrich» oder Walsers «Gehülfen» zum Laufen zu bringen.

Auch dabei haben ihm die vielen Bilder aus der väterlichen Sammlung geholfen, denn das Geld, das die Mondrians und Monets und die anderen Ikonen der Klassischen Moderne einbrachten, als sie nach dem Tode seines Vaters versteigert wurden, machte Koerfer nicht bloss zu einem der reichsten Männer der Schweiz; es erlaubte ihm, selber Sammler zu werden. Und beinahe nebenbei wurde er Mitglied des Stiftungsrats im Fotomuseum Winterthur und der Kunsthalle Zürich sowie Mitbesitzer der Berner Kinokette Quinnie. Ausserdem gründete er den Filmverleih Frenetic und sorgte so dafür, dass auch in die Schweizer Kinos endlich die guten Bilder einzogen.

In seinem Studio in Zürich hängen, stehen, lehnen sie nun, die Werke von Richard Prince, Jeff Koons, Larry Clark, Cindy Sherman, Nobuyoshi Araki, von all jenen, die die Gegenwartskunst ausmachen - und dass hier zugleich ein Vermögen versammelt ist, das bemerkt man fast nicht. Wer immer sich das Wort Understatement ausgedacht hat, er muss Koerfer gemeint haben; niemand könnte unprätentiöser und lässiger durch eine so hochklassige Privatausstellung führen als der 61-jährige. Was sicher auch daran liegt, dass Koerfer einfach ein sehr lässiger, unprätentiöser Mensch ist, innerlich zurückgelehnt und doch hochkonzentriert, wenn er in Eames' Rocking Chair schaukelnd über seine Leidenschaft redet.

Eric Thomas Koerfer 2005 Eric Thomas Koerfer 2005 Eric Thomas Koerfer 2005

Herr Koerfer, Sie sammeln einzelne Werke, keine Künstler, nach keinem System. Sind Sie ein emotionaler Sammler?

Emotional würde ich das nicht nennen. Das Betrachten von Bildern hat zwei Komponenten, zuerst ist da die Hinterfragung, warum fühle ich mich von dem Bild angezogen, dann schaue ich richtig analytisch, wie ist das gemacht.

Können Sie sich schnell entscheiden?

Relativ schnell. Bei wichtigen Werken lege ich eine Nacht dazwischen.

Was war die längste Bedenkzeit, die Sie sich erlaubt haben? Ein halbes Jahr?

Oh, nein, das erlaubt der heutige Kunstmarkt nicht. Man kann sagen, bitte reservieren Sie es, aber so lange um ein Werk herumzuschleichen, dafür ist der Markt zu schnell geworden. Aber so viel Bedenkzeit würde auch nicht helfen, allenfalls hätte es vielleicht den guten Effekt, dass ich gar nicht mehr sammeln würde, weil es dann nicht mehr so wichtig wäre.

Spielt bei der Entscheidung die Wertsteigerung eine Rolle?

Nein. Es hat sich mir bewiesen, dass Bilder, die mich in ihrem Ansatz überzeugen, dass das langfristig auch ein Garant für die Werthaltigkeit ist. Ich habe zum Beispiel sehr früh, vor zwölf Jahren, die Aquarelle von Marlene Dumas gesammelt, als sie auf der Art Basel noch in Kisten unterm Tisch waren. Ich fand das einfach eine sehr gute Arbeit. Jetzt erzielt sie horrende Preise.

Mit welchem Gefühl müssen Sie erwachen, damit Sie eine Arbeit kaufen?

Das Bild muss herausfordern. Ich habe gemerkt, dass die Bilder, die einen anfangs überfordern, die spannenden sind, weil das Zwiegespräch bleibt. Wenn ich Konfrontationen habe mit starken Bildern, können die in Träume übergehen. Es ist etwas Merkwürdiges, dass man als Mensch eine Sehnsucht entwickelt und das über Geld umsetzt in den Wunsch, ein Bild besitzen zu wollen. Eigentlich ist das Leben ja reich genug an Begegnungen, warum dann diese Bilderorientierung?

Wenn ein Bild Sie bis in den Schlaf verfolgt, werten Sie das als gutes Zeichen?

Ja. Es gibt da Marlene Dumas' Bild «Blindfolded» von einem palästinensischen Kämpfer, von dem man nicht weiss, wartet er auf seine Erschiessung oder ist er schon tot. Das habe ich in Belgien

gesehen. Danach hatte ich einen Alptraum, dass ein schwarzer Mann durch mein Zimmer geht, ich wachte schreiend auf. Am nächsten Morgen ging ich zum Galeristen und sagte, ja, ich glaube,

es ist ein gutes Bild, ich möchte es. ·

Kunst muss wirken.

Ich glaube schon. Es gibt eine schöne Edition von John Baldessari mit dem Titel: «I will not buy any more boring art.» Ich glaube, wenn man schon so viel Geld ausgibt, dann soll es etwas sein, was einen anregt, wachrüttelt, konfrontiert. Kunst, die nett ist, die einlullt, die sehe ich gar nicht.

Kunst darf nicht gefallen, nicht gefällig sein?

Ich würde soweit gehen zu sagen: Gefällige Kunst ist keine Kunst.

Ihr Vater sammelte die Klassische Moderne. Ist diese Epoche deswegen für Sie als Sammler tabu?

Ich habe schon das Gefühl, das sind Bildwelten, die eher zu meinem Vater gehörten. Und ich hatte auch Lust, mich ganz auf neue Gegenwartskunst zu konzentrieren. Das hat mit dem Wunsch zu tun, eigene Bilder zu finden und nicht mit den Bildern des Vaters zu leben. Einzelne hatten auch einen zu hohen Wert, als dass ich mir vorstellen konnte, sie in mein Lebensgefühl einbauen zu können oder zu wollen.

Was haben Sie durch Ihre Sammlung über sich gelernt?

Ich habe herausgefunden, dass es oft grenzüberschreitende Bilder sind, die ausserhalb der Konventionen stehen, die mich anziehen. Ich habe erfahren, dass ich einen grossen Anspruch auf

Qualität habe und dass mich etwas an der Grundexistenz des Menschen interessiert, an seiner Verletzlichkeit, seinen Sehnsüchten, seiner Sexualität - und dass ich das Gefühl habe, in der Sexualität kommt der Charakter zum Ausdruck. Die Kunst kann über die Darstellung des nackten Körpers die nackte Existenz des Menschen darstellen.

Beim Sex zeigt der Mensch sein wahres Gesicht?

Beim Sex klingt zu salopp, aber wahrscheinlich ist Sex doch eine der letzten menschlichen Äusserungen, die so stark mit der Natur verbunden ist und wo der Konflikt Natur-Kultur am stärksten festgemacht werden kann. Wenn man in einer hochzivilisierten Gesellschaft davon ausgeht, dass die Natur, der Trieb, zurückgedrängt ist, dann ist das Begriffspaar Natur-Kultur am besten dort noch aufzufinden.

Muss Kunst eine bewusstseinserweiternde Droge sein?

Es ist schön, wenn sie das ist, aber sie muss es nicht sein. Letztlich ist sie ein Luxus. Und Droge hiesse ja, dass man abhängig davon sein könnte. Ich lebe zwei Monate im Jahr auf einer griechischen Insel, dort hängt kein einziges Bild an der Wand. Die Kunst fehlt mir da nicht.

Bedeutet das, in einer schönen Umgebung ist Kunst überflüssig?

Nicht nur in einer schönen, sondern in einer der Natur mehr zugewandten. ·

Wenigstens das Bewusstsein erweitert die Kunst?

Ich hoffe. Aber mehr noch wird das Bewusstsein über das Gespräch und das Zusammenleben mit anderen Menschen erweitert. Kunst ist eine ziemlich egoistische und einsame Angelegenheit.

Für den Künstler oder für den Betrachter?

Für beide. Für den Künstler ist das Privileg, sich über seine Werke konzentriert ausdrücken zu können, oftmals eine sehr einsame Arbeit. Und für den Betrachter ist es der Luxus des persönlichen Zwiegesprächs.

Ist Kunst für Sie immer Kommunikation?

Ja. Ich bin aber vorbelastet, ich bin zwischen Impressionisten und Kubisten aufgewachsen. Bilder waren eine Selbstverständlichkeit. Und immer auch Ausgangspunkt, die Welt zu entdecken. Ich finde es schon etwas Tolles, die essentiellen Bilder aufzuspüren, derweil die ganze Welt von Bildern überflutet wird. In diesen Bildern können sich immer noch Wahrheiten manifestieren. Man muss sich nicht dafür entschuldigen, schon die Höhlenbewohner bemalten die Felswände, also scheint es etwas Grundsätzliches im Menschen zu sein, dass er seine Welt auch über Bilder reflektieren will.

Wie verhalten sich Vorstellung und Darstellung zueinander? Innere und äussere Wirklichkeit?

Es gibt Menschen, die meine Sammlung anschauen und sagen, man sieht, dass das von einem Auge ausgewählt ist. Wenn man genug Zeit hat, sich mit Bildern zu befassen, entwickelt man eine - Zuneigung ist vielleicht falsch, aber eine Vorstellung von so genannt eigenen Bildern, die aber von anderen hergestellt sind. Ich bin von Beruf Bildermacher, Filmemacher. Auf der anderen Seite sind da die Bilder der Künstler, die ich sammle, und ich merke, meine und ihre Bilder sind nicht so weit auseinander. Diese Bilder scheinen darauf hinzuweisen, wie ich mich auf dieser Erde fühle. Vielleicht ist es deshalb so spannend, mit Bildern von anderen zu leben, die eine Gegensätzlichkeit oder Gemeinsamkeit mit den eigenen Bildern haben.

Sind Bilder wie beste Freunde?

Es ist eine sehr persönliche Beziehung. Auch wenn man sie nach Jahren weggibt - und sie können sich ja nicht wehren -, bleiben sie bei einem, wenn man sie gemocht hat. Nur braucht man sie erstaunlicherweise plötzlich nicht mehr.

Sie besitzen mehr als 600 Werke. Was machen Sie damit im Alltag?

Man sagt, ein Sammler ist erst einer, wenn er ein Lager hat. Ich hänge relativ viel, ich lasse viel rumstehen, ich habe Sachen in Schubladen, und manchmal gehen auch Kisten für ein paar Jahre ins Lager, und dann schaue ich sie mir wieder neu an, wenn sie hervorkommen.

Sind Sie manchmal schaumüde?

Das gibt’s, aber ich kann dann hier durchlaufen und sehe sozusagen nichts.

Verändert sich Ihre Haltung zu den Bildern?

Ja, die Stimmung kann sich ändern, ich kann auch entdecken, dass ich etwas nicht mehr so gut finde, dass ich es nicht klar und kühl genug ausgesucht habe. Das gibts auch beim Regieführen, man muss erst in eine Szene reingehen, sehr nahe bei den Schauspielern sein und sich dann zurückzoomen und eine gewisse Kühle entwickeln, um zu wissen, ist man auf dem richtigen Pfad.

Buchen Sie solche Käufe als Irrtümer ab?

Ja, da zweifle ich dann schon ein wenig an mir selbst. Hallo, was hast du gesehen? Ich habe aber das Glück gehabt, meist qualitativ hochrangige Werke zu sammeln, sodass sie wieder einen Abnehmer finden.

Woran erkennt man den Unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten Künstler?

Ein sehr guter Künstler hat die Fähigkeit, ein Lebenswerk zu schaffen. Er hat eine innere Kraft und ein gedankliches, bildhaftes Reservoir, gepaart oft mit einem guten Denkapparat, sodass übers Leben ein Spannungsfeld zwischen früheren und heutigen Bildern entsteht. Das sind oft die Künstler, die bewusst in Werkgruppen arbeiten. In den Dreissigern etwa Man Ray, in den Sechzigern Warhol, heute Künstler wie Cindy Sherman oder Richard Prince, die eine Kohärenz der Recherche und des Ausdrucks mit immer überraschenden Wendungen zu Stande bringen. Und dann gibt es Künstler, die plötzlich gut sind, aber wie ein Feuerwerk erlöschen oder vom Markt gelöscht werden. Der Markt entfacht einen zu grossen Hype und lässt sie im No Man's Land stehen.

Kann man einen Künstler zum Star machen?

Nein, einen guten Künstler kann man nicht machen. Der Kunstmarkt hat immer wieder mal versucht, gewisse Künstler oder Künstlergruppen zum Beispiel über Auktionen zu pushen, aber über längere Zeit geht das nicht.

Niemand ist unverdientermassen an der Spitze?

Nein. Es gibt höchstens schwache Werke dieser Künstler, die im Markt überbewertet sind und wo es nicht gut ist, dass sie in Zirkulation sind.

Wird nicht mancher Künstler wegen seines perfekten Selbstmarketings zum Liebling der Saison?

Es gibt welche, die Selbstmarketing als Teil ihres Werkes in Gang setzen, etwa Jeff Koons. Dessen Selbstinszenierung mit Cicciolina folgte sicher einer Marketingstrategie, aber diese wird offen gelegt. Heute ist es über Marketing nicht möglich, einen Künstler gross zu machen. Oh, doch, jetzt fällt mir einer ein. Christo und seine rührige Ehefrau. Wobei bei denen ist es auch wieder Teil des Unterfangens, wie die zehnjährige Herstellung einer Installation oder die unzähligen Skizzen - nicht unbedingt von ihnen. Wäre allerdings diese Marketingenergie nicht da, gäbe es auch diese Werke nicht. Andere Künstler würden den Aufwand gar nicht leisten wollen, die würden sagen, ich spinne doch nicht.

Hat Kunst noch etwas mit Handwerk zu tun?

Ich glaube schon. Beim Fotografen geht es um Bildaufbau, Lichtgebung, um die Qualität des Abzugs. Und in der Malerei kenne ich keinen wirklich guten Künstler, der ein Dilettant ist. Ein Gegenwartskünstler stellt sich in Zusammenhang mit der gesamten Kunstgeschichte, der kennt die Kunst des 20. Jahrhunderts. Er weiss genau, was er macht. Handwerk ist immer noch ein Grundmoment des präzisen Ausdrucks.

Gibt es noch Genies?

Nur wenn ich den Geniebegriff neu definiere. Dass ein Genie jemand ist, der die Schnittstellen

der Zeit erfasst, sie benennen kann und mit dem richtigen Medium offen legt. Aber ein Genie ist kein in einem einsamen Atelier mit zerrauften Haaren umherirrender Künstler, sondern eine tolle Mischung zwischen Analytiker und Handwerker, ein mit einem eigenen Ausdruck versehener hoch begabter Künstler.

Zählen gute Absichten in der Kunst?

Schwierige Frage. Früher zählten die mehr. Das kam aus einer bestimmten Kunstrezeption heraus. Vor 25 Jahren, als ans Kunstwerk der Anspruch der gesellschaftlichen Gültigkeit gestellt wurde. Früher haben sich auch die Künstler selbst mehr Aufgaben gestellt. Es gab während des Vietnamkrieges amerikanische Künstler, die die Zerstörungsmaschinerie thematisierten. ·

Eigentlich ist es in der bildenden Kunst gerade merkwürdig still um den Irak-Krieg. Da ist eine unheimliche Getrenntheit eingetreten: Der Krieg findet an einem fernen Ort statt, ein bisschen im Fernsehen, aber fast nicht mehr in der Kunst und Kultur. Das Absichtlose ist zwar erlaubt, in gewissen Momenten jedoch schade.

Woran liegt es, dass Ereignisse wie der Irak-Krieg die Künstler kalt lassen?

Ich glaube, sie haben dermassen genug von dieser Regierung und das Gefühl, diese Art von konservativem Establishment ist so weit von mir entfernt, dass ich mich damit gar nicht anlegen will. Vielleicht gibt es auch eine grössere Individualisierung des künstlerischen Ausdrucks. Früher gab es allerdings auch einen falschen Überbau, indem vom Künstler erwartet wurde, dass er sich gesellschaftlich einlässt. Ich finde, Kunst muss nicht a priori diesen Ansatzpunkt haben.

Gibt es noch Trends in der Kunst? Vor wenigen Jahren hiess es, die Malerei feiere ihre Renaissance.

Ich glaube nicht, dass daraus Trends entstanden sind. Es ist vielmehr ein Geben und Nehmen zwischen verschiedenen Bildausdrücken entstanden, also der Film hat die Fotografie beeinflusst, die Fotografie wieder die Malerei, die gibt etwas an den Film zurück oder die Videokunst. Dieser Austausch ist rege und führt zu einer Kunst, die nahe an der Gegenwart ist. Und - das tönt jetzt banal - die darum auch etwas Demokratisches hat. Sie ist an einem Ort angesiedelt, der die Menschen betrifft. Kunst ist nicht mehr fernab ein Betrieb von wenigen Intellektuellen. Deshalb sind auch die Museen so gut besucht.

Ist ein Bild, das verstanden wird, besser als eines, das nie verstanden wird?

Nein, ein Geheimnis ist sogar sehr wichtig. Ein Kunstwerk, das seine Aussage oder Kraft zu schnell preisgibt, ist uninteressant, vielleicht nicht mal gute Kunst.

Selbst wenn es für immer und ewig ein Rätsel bleibt?

Ja, es gibt die ganz bedeutenden Kunstwerke wie das grosse Glas von Duchamp, wo die Leute noch heute um Erklärungen ringen. Das ist garantiert richtig und wertvoll so.

Wie wichtig ist das Originäre des Kunstwerks, das Einzigartige einer Idee?

Sehr wichtig. Ich glaube, das wirklich Originäre macht den sehr guten Künstler aus. Jetzt kann man sagen, wie ist es möglich, nach 2000, 3000 Jahren Kunstproduktion noch zu einem neuen Ausdruck zu gelangen. Die Fotografie etwa ist eine sehr junge Kunst, sie hat gerade mal 160 Jahre auf dem Buckel, ihre originären Ausdrücke sind noch nicht ausgeschöpft. Und über den Mix neuer Techniken gewinnt man als Künstler eine grosse Freiheit.

Welches Werk hat sie zuletzt vom Hocker gerissen?

Das Bild «Smashed Oranges» des Belgiers Luc Tuymans, an dem mich lustigerweise vor allem die konservative Malweise überrascht hat. Es orientiert sich an einem belgischen Fasnachtsbrauch, wo man sich mit Orangen bewirft. Das Orange entstammt der Farbpalette von Impressionisten wie Bonnard, zugleich ist es ein erschreckendes Bild über Verfall. Es ist ein sehr klassisches Bild mit einem klassischen Motiv, das einen neuen Dreh hat.

Nach dem Tode Ihres Vaters wurde seine Sammlung bei Christie's in New York versteigert. Was war das für ein Gefühl, als ein kleines Selbstporträt von Van Gogh für mehr als 71 Millionen Dollar wegging?

Da denkt man schon, dass das natürlich unheimlich viel Geld ist. Aber eigentlich - wenn es wirklich so ein grossartig gültiges Werk ist - ob es dann dieser Preis oder die Hälfte davon ist, das ist nur noch eine Nuance. Das tönt jetzt arrogant. Aber wenn ich daran denke, was innerhalb der Gesellschaft an Geld ausgegeben wird für Sachen, die nur halbwegs nützlich sind...

... zum Beispiel 21 Millionen Franken für die neue Tramhaltestelle am Zürcher Hauptbahnhof.

Ja, oder wenn ich mir vorstelle, was irgendwelche Fortbewegungsmittel kosten wie Flugzeuge, die nach zehn Jahren verschrottet werden. Dann ist es doch legitim, aussergewöhnliche Kunstwerke in solchen Preisbereichen anzusiedeln. Und der Kunstmarkt ist eben gnadenlos: Eine Ware, die knapp ist - und Van Goghs Selbstporträts sind knapp, und die guten eh -, führt halt zu solchen Resultaten. Und wenn ich mir vorstelle, was gewisse Wirtschaftsleute an Kapital vernichtet haben über ungehörige und falsche Unternehmensführung und mir dann überlege, dass dieser Wert innerhalb des Bildes aufgehoben ist und sogar noch gesteigert wird, sind solche Preise wohl innerhalb eines gewissen kapitalistischen Gefüges angemessen.

Der Kunstmarkt bleibt trotzdem eine Art Hyperkapitalismus: Ohne dass Leistung dazukommt, gibt’s einen Mehrwert.

Ich würde schon von einer Leistungssteigerung ausgehen, denn bestimmte Künstler erzielen so hohe Preise, weil sie ein Lebenswerk schaffen. Das heisst nicht, das einzelne Bild wird veredelt, aber es wird gestärkt durch ein Oeuvre. Natürlich gibt es auch Übertreibungen, Exzesse. Trotzdem hat der Kunstmarkt alles in allem eine hohe Stabilität in den letzten zwei Jahrzehnten bewiesen.

Ist keine Rezession zu spüren?

Es wird sogar mehr gekauft. Der Kunstmarkt hat allerdings eine stärkere Trennung zwischen dem wirklich Guten und dem Schlechteren vorgenommen. Schwächere Werke von sehr starken Künstlern werden zu Recht herabgestuft.

Das Geld geht also nicht aus?

Es ist natürlich die vermögende Schicht, die teure Kunst kaufen kann. Bei der stellt sich Enttäuschung über die Aktienmärkte ein. Aktien von gewissen Unternehmen zu haben, ist nicht mehr sehr sexy, früher mochte einen das noch mit der Unternehmung verbinden. Das führt zu dem stärkeren Wunsch, in Sachwerte zu investieren. Und die Gegenwartskunst hat sich zu einem sehr konstanten Sachwert mit starkem Wertsteigerungspotenzial entwickelt.

Ist für Sie der Triumph, aufs richtige Pferd gesetzt zu haben, ein Teil des Sammelgenusses?

Für mich nicht, aber das mag für einige so sein. So unterschiedlich die Künstler sind, so unterschiedlich sind die Sammler.

Freuen Sie sich nie über das Gefühl: Ich sehe was, was du nicht siehst?

Doch es freut mich, etwas in einem Werk gesehen zu haben, was andere so nicht gesehen haben. Und dass es keinen Wertverlust hat. Obwohl der Kunstmarkt heute nervöser geworden ist, weil es eine Gruppe von Spekulanten gibt, die schnell weiterverkaufen. Ich glaube aber, die kaufen nicht sehr intelligent, sondern nur nach Namen, weil sie nicht das Auge haben. Die schaffen falsche Hypes und ein unangenehmes Ambiente, was oft auch von den Künstlern mit Erschrecken wahrgenommen wird.

Sagen Sie uns die höchste Summe, die Sie je für ein Werk ausgegeben haben.

Nein, nein, nein!

Sie versagen sich ab und zu auch etwas?

Ja, sicher, es ist ja manchmal auch schwierig, in Relation zu setzen, dass ein Bild, zwei auf zwei Meter, gemalt von einem noch lebenden Künstler, dass der plötzlich aufsteigt in den One-Million-Dollar-Klub an Malern. Das ist ein bisschen ausserhalb der Lebensrealität.

Kennen Sie so etwas wie ein schlechtes Gewissen, wenn Sie eine sehr hohe Summe ausgeben?

Nein, ich empfinde kein moralisches Urteil im Sinne von dekadent oder nicht gehörig. Es gibt aber Sammler, die bereit sind, hohe Preise zu zahlen, obwohl sie nicht in Relation stehen zur inneren Qualität des Bildes und zum sonstigen Preisgefüge des Marktes. Und es ist mir manchmal einfach zu viel Geld, das ich entweder nicht habe oder nicht in dem Bereich ausgeben will. Ich weiss, es ist ein Privileg, so und so viele finanzielle Mittel für Kunst aufzuwenden, aber ich finde mein Leben sonst gut ausbalanciert mit meinem Filmberuf, mit meinen weiteren Engagements innerhalb der Gesellschaft, dass ich mir hier nicht aus moralischen Gründen etwas verbieten muss.

Ist Ihnen die Art Basel wichtig?

Für mich ist es der Ort, der mir einen guten Überblick verschafft über einen Zustand des Marktes, nicht mehr so sehr ein Entdeckungsfeld. Er ist mir wichtig, um Galeristen wiederzusehen. Die Art Basel ist vielleicht globaler geworden wie der Kunstmarkt auch. Arrivierte Künstler haben sechs Galerien auf der ganzen Welt, und alle diese Galerien stellen den Künstler wiederum an der Art Basel aus. So entsteht etwas Mainstreamiges. Aber toll ist, dass die Messe eine solch hohe Qualität bei den Werken selber hat.

Mögen Sie Vernissagen?

Nein, ich gehe nur hin, wenn ich muss oder aus Solidarität mit dem Künstler. Obwohl, eigentlich haben Premieren was Gutes: Es wurde lange auf etwas hingearbeitet, der Künstler übergibt sein Werk an ein Publikum. Es gibt dumme Vernissagen, es gibt intelligente Vernissagen, es gibt Vernissagen, die eigentlich eine Quersubventionierung der Gastronomie sind, total unnütz.

Gibt es überhaupt eine geschlossene Schweizer Kunstszene?

Es gibt eine konzentrierte Szene, die sehr viel wahrnimmt, die sehr informiert ist. Die selbst anstrengende analytische Veranstaltungen besucht.

Wie sehr mischen die Schweizer in der weltweiten Kunstszene mit?

Es gibt einige wichtige Schweizer Künstler, die gut auf dem Weltmarkt vertreten sind. Aber etwas Schweizerisches lässt sich zum Glück nicht mehr ablesen. Das wäre auch der falsche Ansatz, etwas Nationales festlegen zu wollen.

Wer hat im Kunstbetrieb die grösste Macht: die Künstler, die Sammler, die Galeristen, die Kritiker, die Kuratoren?

Es gibt einmal den kommerziellen Kunstmarkt, wo die grossen Galerien in enger Zusammenarbeit mit den Künstlern die Macht innehaben. Und dann gibt es den Ausstellungsmarkt, dort sind die kreativen Menschen zu finden, die wirklich guten Kuratoren und Museen, die sehr prägend auf den Ausstellungsbetrieb wirken und damit vielleicht eine gewisse Macht innehaben, aber die ist gepaart mit hohem Sachwissen.

Ein Teil Ihrer Sammlung ist durch einen Brand zerstört worden.

Es gab einen recht fulminanten Zimmerbrand, wo etliche Bilder total beschädigt wurden. Das war aber ein ganz nützliches Abschiednehmen, ein Aufzeigen, dass das alles doch sehr weltlich ist und dass es möglich ist, ohne all das gut weiterleben zu können. ·

Gäbe es heute ein Werk, das Sie unbedingt retten wollten?

Es gäbe einige, aber ein Lieblingsbild habe ich nicht.

Was kann die Kunst, was die anderen Künste wie Theater oder Film nicht können?

Die Kunst ist festgehalten, während ein Filmbild, kaum ist es projiziert, schon wieder weg ist. Und ein Theaterstück hat eine Dauer von anderthalb Stunden, ausser bei Marthaler, da sind es vier. Ein Kunstwerk dagegen bleibt als Zentrierungspunkt vorhanden, es lässt sich immer wieder anschauen, überprüfen, es ist dadurch auch fragiler, weil gewisse Fehler auszumachen sind. Ein Werk vermag nicht, über eine längere Zeit zu blenden, das ist das Gute dran.

Wie sähe Ihr Leben ohne all diese Bilder aus?

Karger. Vielleicht würde ich selber mehr fotografieren, aber ohne künstlerischen Anspruch. Vielleicht hätte ich mehr Zeit für mein Filmemachen. Das wäre nützlich, denn bis jetzt habe ich mich in fremden Bilderwelten bewegen können, ohne je Entzugserscheinungen in Hinblick auf mein Filmemachen zu haben.

Die Bilder nähren Sie zu sehr?

Bilder sind toll. Sie sind sehr bereichernd und eine Inspiration, aber nicht entscheidend für das Leben auf dieser Welt.

Wie wichtig ist das reine Habenwollen, wie schön das Gefühl zu besitzen?

Man ist ja intelligent genug zu wissen, das, was man hat, hat einen auch. Und auch zu wissen, dass das Sammeln eine neurotische Komponente in sich trägt. Die Tendenz von Sammlern, sich Privatmuseen zu bauen oder daraus eine Art Nachruf auf sich zu machen, finde ich uninteressant, das kommt aus einem alten Fürstenhausdenken heraus. Ich glaube, Sammlungen sollen sich nach dem Tod des Sammlers wieder auflösen. Meine Kinder sollen entscheiden, was sie damit machen. Für mich ist es eine schöne Vorstellung, dass Bilder an ganz andere Orte, in andere Welt- und Familienbereiche wandern, und dass Kunst, obwohl sie etwas Festes ist, doch etwas Flüchtiges bleibt.

Gehen Sie nun auf die Art Basel, mit der festen Absicht einzukaufen?

Nein, im Gegenteil! Ich gehe mit der Absicht, möglichst nicht zu kaufen. Nur ist das schwierig durchzuhalten. ·

 

Die erotische Sammlung von Thomas Koerfer ist zu sehen in dem Bildband «Stripped Bare - der entblösste Körper in der zeitgenössischen Kunst und Fotografie» (Hatje-Cantz-Verlag).

Anuschka Roshani ist «Magazin»-Redaktorin

Lauri Eriksson lebt als freier Fotograf in London