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Eric Thomas Koerfer

Glut

«Glut»

Synopsis

GLUT erzählt einen wichtigen Lebensabschnitt des Kindes Andres Korb.

Vor seinem Vater, dem rücksichtslos handelnden Waffenfabrikanten François Korb, fürchtet sich Andres. Enttäuscht wird Andres aber auch von seiner Mutter: Claire Korb widmet sich eher der Leidenschaft zu ihrem Schwager Albert Korb. Einzig vom Grossvater, Oberst Wettach, bekommt er Zuneigung und Wärme.

1944: In Europa herrscht das Nazi-Regime.

François Korb pflegt von der Sturm umbrandeten Friedensinsel Schweiz aus die besten Beziehungen zu hohen Repräsentanten des III. Reiches.

Die neutrale Schweiz liefert in dieser Zeit nicht nur Waffen an die Aliierten und die Deutschen, anpassungsfähige Unternehmer wie François Korb nutzen die gesteigerte Nachfrage geschickt aus und zählen auch die eigene Schweizer Armee zu ihren guten Kunden. Korb schlägt aus diesem politischen Spannungsfeld in jeder Beziehung Kapital: Das Geschäft mit den Waffen blüht, sein Ansehen als Unternehmer und Patriot wächst. Als angesehene, kultivierte Familie nehmen auch die Korbs ein Flüchtlingskind auf: Anna, ein polnisches Mädchen, kommt in die Fabrikanten-Villa und Andres damit zur langersehnten Gefährtin.

Doch schon nach kurzer Zeit zieht Anna den Unwillen der Pflegeeltern auf sich:
Anna lernt in ihrer neuen Umgebung auch einen Landsmann kennen. Der polnische Soldat sucht nach einer Fluchtmöglichkeit aus dem verhassten Internierungslager. Mit Hilfe der beiden Kinder gelingt es ihm, sich in der Villa Korb zu verstecken. Zu diesem Zeitpunkt findet im Hause Korb ein Empfang zu Ehren des Generals der Schweizer Armee statt. Der Vertraute der Kinder, der Grossvater, hilft dem Versteckten mit einer Köpenickiade zur weiteren erfolgreichen Flucht. Dabei wird der Grossvater und ehemalige Oberst der Schweizer Armee als vermeintlicher Pole erschossen. Anna muss die Villa verlassen, zurück bleibt ein erneut einsamer Andres.

Vierzig Jahre später kommt Anna unter ihrem richtigen Namen Hanna Drittel, diesmal beruflich in die Schweiz. Sie trifft auf Unerwartetes: Strassen und Plätze sind voller Militärs und an einer Pressekonferenz erkennt sie Andres Korb. Das Zusammentreffen der beiden weckt gemeinsame Kindheitserlebnisse. Doch zwischen der Journalistin Hanna Drittel und dem Erben Andres Korb liegt nicht nur die Zeit.

Pressestimmen

«Glut» leuchtet grell und direkt in ein Machtzentrum hinein. Im Mittelpunkt steht die Familie eines Waffenfabrikanten, der im Zweiten Weltkrieg beide Seiten beliefert. Koerfer wehrt allerdings allzu klare Parallelen ab: er will nicht die Biographie der Dynastie B. geben. Ihn interessiert die Konfliktsituation an sich und damit das ganze Spannungsfeld zwischen individuellen und allgemeinem Verhalten. In diesem Sinn gleicht der Film eher der «Götterdämmerung» von Luchino Visconti...

Zürichsee-Zeitung, 24.9.1983

«Der spröde, sperrige und bedächtige Koerfer hat sich mit seinen Filmen, bislang fünf an der Zahl , von Anfang an still und gnadenlos in das eidgenössische Weltbild hineingebohrt. Waren seine Filme anfänglich literarische Kopfarbeiten, so hat er sich mit 'Glut' in die Psyche einer Familie vertieft, die exemplarischen Charakter hat: an ihr misst er den Horror des perfekt geregelten Anpasser-Alltags. Da ist kein Platz für Träume und Vertrauen, mit bürgerlichen Angstreflexen reagieren die Menschen auf das Planlose und Unkalkulierbare.»

Weltwoche, Wolfram Knorr, 15.9.1983

«Koerfers Film wäre bedeutsam und packend allein schon durch diesen Blick auf die Zeit 1943/44. Doch 'Glut' betritt für den gesamten schweizerischen Spielfilm Neuland und findet seine untergründige Überzeugungskraft dadurch, dass Koerfer parallel zur 'historischen' Ebene die Gegenwart einbringt und vierzig Jahre helvetische Trägheit deutet...»

Basler Zeitung, Bruno Jäggi, 24.9.1983

«Genau im Detail, dicht in der Komposition und mit beherrschter Sensibilität befragt Koerfer das Innere unserer statischen, verkrusteten Gesellschaft: ohne irgend etwas aufdrängen zu wollen, auf einem künstlerischen und gesellschaftspolitisch ungewöhnlichen Niveau. Immer wieder findet er zu grossartigen, fast feierlichen Momenten von geheimnisvoller Kraft.

Basler Zeitung, Bruno Jäggi, 15.9.1983

«Der Köhler nutzt das Feuer zum Guten - macht Kohle, die den Menschen auch wärmt. Andere benutzen das Feuer, um Eisen zu schmieden, aus dem Waffen hergestellt werden.

Prometheus, der den Göttern das Feuer stahl und zur Erde brachte, ermöglichte durch seine Tat die Kultur - diese Kultur hat allerdings auch Tötungsinstrumente hervorgebracht.

Filmbulletin, Thomas Koerfer (November 1983)

«Wärme geht von der schönen Gestalt des im Hause lebenden Grossvaters, des Obersten Wettach, aus, den Sigfrit Steiner in eindrücklicher Weise zur glaubwürdigen positiven Verkörperung des «Schweizerischen» formt, eine senkrecht- zuverlässige Identifikationsfigur.

Auf faszinierend vielschichtige Weise gelingt es Katharina Thalbach, dessen Tochter, die unerfüllt- unbefriedigte schöne Frau des Industriellen, zu interpretieren, die mit ihrem Schwager (Matthias Habich) eine glutvoll- distanzierte Affäre unterhält: perfekt in der Allüre der Dame, lustvoll und erfinderisch, an der Grenze zum Ordinären, in der Beschwörung des Erotischen.»

NZZ, Christoph Egger, 15.9.1983

«Glut»

Kommentar von Thomas Koerfer: Heutige Sichtweise (1998)

Mein Ausgangspunkt für GLUT war die eigene Betroffenheit, dass mir in meinem Geschichtsunterricht die übertrieben willfährige wirtschaftliche Kollaboration der Schweizer Wirtschaft mit dem Dritten Reich verschwiegen worden war. Ich wurde 1944 geboren. Den Krieg kannte ich nicht aus eigener Erfahrung – wenn ich mich auch in frühkindlichem Erlebnis an das Geräusch der überfliegenden, alliierten Jagdbomber und die Suchscheinwerfer meine erinnern zu können – aber ich gehörte der ersten Nachkriegsgeneration an, und wollte die notwendigen, brennenden Fragen stellen:
Warum hatte die Schweiz denn wirklich dem Griff des Dritten Reiches entgehen können? Warum war sie der Punkt der Stille im europäischen Wirbelsturm geblieben, und mit welcher Politik war diese Stille erkauft worden?

Diese Fragen prägen die Geschehnisse der Vergangenheitsebene des Films: Die Promet Werke des François Korb exportieren in grossem Umfang Waffen an das Dritte Reich, und mit ihm die anderen Zulieferanten der deutschen Rüstungsindustrie, z.B. die Uhrenfabriken im Jura, die die Zeitzünder an Deutschland liefern.

Auf der zweiten Zeitebene des Films, dem neuerlichen Besuch von Hanna Drittel in der Schweiz – zur Zeit einer martialischen Wehrschau in Zürich – bin ich der Frage nachgegangen, wie zum einen eine Nation mit einem selbsterrichteten Mythos etwa dreissig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg umgeht. Zum anderen wollte ich schildern, wie sich die Geschichte – das Unrecht, die Widersprüche – in den Gefühlen der Menschen verfangen haben.

Und es ist erstaunlich, bis erschreckend, dass sich in einer neuen Fassung von GLUT die frühere «Gegenwartsebene» (vor gerade 15 Jahren) nahtlos durch eine heutige Gegenwartsebene ersetzen liesse. Wieder könnte ich Hanna Drittel in die Schweiz reisen lassen, und wiederum müsste sie wahrnehmen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung sich gegen das Aufarbeiten der eigenen Geschichte stemmt, dass sich die Regierung nur unter grösstem Druck zur Konfrontation mit der Aufarbeitung der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg bereit erklärt hat. Und zusätzlich zu all dem würde Hanna Drittel Zeugin einer Welle von Antisemitismus sein, getragen von den konservativen Wirtschaftskreisen und von der Bundesregierung in keiner Weise eingedämmt, noch widersprochen.

Ist die Schweiz wirklich das Land in Europa, das unfähig ist, seine eigene, jüngste Geschichte vorbehaltlos zu analysieren? Ist der erwachsen gewordene Andres Korb der typische Repräsentant für das kollektive Verdrängen?

Zu den Fragen nach den Konten der Holocaust-Opfer, den nachrichtenlosen Vermögen, zu der Hinterfragung der Rolle der Schweizerischen Nationalbank in Bezug auf die «Reinwaschung» des Raubgoldes werden sich in naher Zukunft die Fragen zur Kooperationsbereitschaft der Maschinen- und Waffenindustrie mit dem Dritten Reich gesellen. Banken und Wirtschaftskreise wissen um diese kommenden Fragen, sonst hätten sie sich nicht so schnell auf die Einrichtung eines Holocaust Fonds geeinigt. «Sie müssen sich für die kommende Diskussion über ihre Kriegsgewinne wappnen.» (Spiegel, 3.2.1997)

GLUT stellte 1983 die Fragen nach der persönlichen Schuld und der wirtschaftlichen Kollaboration. Es macht mich betroffen, dass diese Fragen und somit der Film selbst heute immer noch so aktuell sind.

Thomas Koerfer

Assoziationen des Filmemachers zum Filmtitel

Die Schweiz erinnert mich an das Land der verborgenen GLUT.

Das Magma hat sich so verhärtet und abgekühlt, dass die GLUT den Erdboden schon gar nicht mehr erwärmt, geschweige denn durchbricht. Haben andere Länder ihre Vulkane, so hat die Schweiz ihr schroffes Felsgestein. Und doch muss man annehmen, dass es die GLUT unter diesem zugekrusteten Land noch gibt, die GLUT in den Menschen auch, eingepackt und abgeschlossen. Die Eruptionen der Gefühle finden selten statt, und werden, wenn sie sich ausnahmsweise Bahn brechen, von den einzelnen Menschen als schmerzlich, und von der Gesellschaft als unziemlich erlebt. So motten in den Menschen die Gefühle dahin, und so mottet die Geschichte im Innern der Gesellschaft. Schwelbrände werden frühzeitig erstickt, sie könnten sonst zu Feuern werden.

Thomas Koerfer

«Glut»

Darsteller

François Korb / Andres Korb Armin Mueller-Stahl
Claire Korb Katharina Thalbach
Albert Korb Matthias Habich
Colonel Wettach Sigfrit Steiner
Andres Thomas Lücking
Anna Agnes Zielinski
Hanna Drittel Krystyna Janda
Antonia Barbara Freier
Lina Gudrun Geier
Karl Walter Ruch
Polnischer Internierter Jan Groth
Deutscher Botschafter Gert Heinz
Englischer Botschafter Michael Rittermann
General Robert Tessen
und Norbert Schwientek
Ernst Stiefel
Babett Arens
Henning Heers
Markus Imhoof
Wolfram Berger

Film-Equipe

Drehbuch Thomas Koerfer, Dieter Feldhausen
Kamera Frank Brühne
Ausführender Produzent Edi Hubschmid
Produktionsleitung Ruedi Santschi
Regie-Assistenz Gabi Zerhau
Script Madeleine Fonjallaz
Ton Rainer Wiehr
Ausstattung Bernhard Sauter
Kostüme Barbara Baum
Maske Gerlinde Kunz
Schnitt Georg Janett
Musik Peer Raben

 

Regie Thomas Koerfer

 

Format/Version 35mm; Kodak Negativ; 1: 1,85
Version Deutsch
Länge 3150 m
Dauer 109 min
Uraufführung Mostra Internationale del Cinema, Venezia 1983
Produktion Cactus Film AG, Zürich, In Koproduktion mit:
Prokino Filmproduktion GmbH,
Thomas Koerfer Film AG,
Schweiz. Radio- und Fernsehgesellschaft SRG
Zweites Deutsches Fernsehen ZDF
Weltrechte Thomas Koerfer Film Ltd.
Verleih Schweiz Frenetic Films

DVD

In der "Thomas Koerfer Edition" DVD Box erhältlich.

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